Vortänzer der Gesetze

LIMBO, eine virtuelle Lehrveranstaltung für Jurastudenten, will mit dem Massenproblem aufräumen.
Von Roman Pletter

(SZ vom 21.8.2001) Bald wird Dirk Heckmann, Professor für öffentliches Recht an der Uni Passau, rund 400 Studenten Kurznachrichten auf ihre Handys und in ihre Mailboxen schaufeln. Die Nachrichten sind ein kleiner Sieg im Kampf gegen die Defizite von Massenfachveranstaltungen. Mit „LIMBO“ hat er den Kampf aufgenommen und seinen Studenten Woche um Woche die Stange etwas tiefer gelegt, unter der sie Vorlesung um Vorlesung hindurchtanzen müssen.

Virtuelle Strukturen

„LIMBO“ steht für „Lehre in Massenfächern online betreut“, bedeutet „buchstäbliches Aufeinanderzugehen“ der Elemente: Lehre in Massenfächern einerseits, online betreut andererseits“, sagt Heckmann.

LIMBO verknüpft Elemente virtueller Lehre mit der herkömmlichen Vorlesung im Hörsaal und ist das Produkt einer Entwicklungsarbeit, an der neben Heckmann dessen Mitarbeiter und eine studentische Unternehmensberatung getüftelt haben. Es soll „traditionelle, reale Massenfachvorlesungen, in denen sich bis zu 500 Studenten drängen, in eine virtuelle Vor- und Nachbereitungsinfrastruktur integrieren“, sagt der Jurist.

Planspiele im Netz

Für die Studenten sieht das so aus: Vor jeder Vorlesungseinheit aktualisiert der Professor einen als Planspiel im Internet dargestellten Fall.

So etwa erhält der Kutscher Johann Berger mittels einer Untersagungsverfügung des Landratsamtes Planstadt die Betriebserlaubnis für seine Kutsche entzogen, worüber sich jener in einem Brief erzürnt: Die „skandalösen Ausführungen“ machten ihn arbeitslos, zumal er „Zweifel an der Rechtmäßigkeit, Wirksamkeit und Gerechtigkeit dieses Bescheides“ hege, schließlich seien fehlende Gurte in der Kutsche doch kein hinreichender Grund. Und überhaupt sei das seiner Kundschaft nicht zuzumuten: „Stellen Sie sich mal eine angegurtete Braut im Brautkleid vor!!“

Er bittet die studentischen Internetkorrespondenzanwälte, kurz InKA´s, um Hilfe. Heckmann übernimmt die Position des Verwaltungsbeamten und legt den Studenten Woche für Woche neue Steine in den Weg: Mal kann der erboste Kutscher nicht an sich halten und beginnt eigenmächtige Schritte gegen die Behörden, mal benötigt er Rechtsbeistand, weil er einen Hochzeitstermin für das kommende Wochenende schon fest vereinbart hat. In diesem Part sollen die Studenten „spielerisch“ an den Stoff herangeführt werden. Die InKA-Antworten werden von Heckmann oder dessen Assistenten im Internet verfolgt, kommentiert und für die Vorlesung aufbereitet.

Die klassische Lehrveranstaltung geht dann detailliert auf den Stoff ein: „Das Internet ersetzt nicht Vorlesung und Fachlektüre, sondern ergänzt sie und behebt zugleich die spezifischen Mängel von Massenveranstaltungen“, sagt Heckmann. Auch die Nachbereitung sei weiterhin unerlässlich.

Dadurch, dass das Vorlesungsskript nur dem aktuellen Stand gemäß im Internet freigeschaltet werde, sei gewährleistet, dass sich die Studenten mit dem Stoff auseinander setzen müssen.

Links, die Begriffe in Form von Merkkarten erläutern sowie Querverweise auf Gesetzestexte und einschlägige Urteile sollen das Einordnen des Gelernten in den Gesamtzusammenhang erleichtern. Online- Foren, virtuelle Prüfungs-, Service- und Informationsmodule runden die Nachbereitung ab. So haben „Lernende die Möglichkeit, eigene Defizite auszugleichen, ohne den Gesamtbetrieb auszubremsen“, sagt Heckmann. Prüfungsergebnisse werden automatisch via E-mail oder SMS zugestellt.

Schlüsselqualifikation für Juristen

Jan Milus, Student im vierten Semester, begrüßt die Möglichkeiten von LIMBO: „Die Aufbereitung und Strukturierung des Stoffes ist so wesentlich besser als in anderen Massenveranstaltungen, zumal die Konzentration in der Vorlesung leichter fällt, weil man nicht ständig mitschreiben muss.“ Auf der anderen Seite sei es nachteilig, alles ausdrucken zu müssen und so kaum ohne das Internet lernen zu können, was gerade denjenigen, die nur über den Anschluss in der Uni verfügen, zum Nachteil gereichen könnte. Auch das Planspiel werde noch sehr rudimentär genutzt.

Heckmann kennt die Probleme, meint aber, dass der Umgang mit dem Internet mittlerweile eine Schlüsselqualifikation sei, auch für Juristen: „Man muss heute einfach wissen, wie man etwas aus dem Internet herunterladen kann.“ Und die anfänglichen Berührungsängste beim Planspiel legten sich auch langsam. Zumal Sprachspielfreund Heckmann für solche Probleme zur Sonntagsfrühstückszeit im „PRUNCH“, dem Prof-Uni-Chat, erreichbar ist, er wird zum „VIDO“, zum virtuellen Dozenten. E-mails beantwortet er meist am selben Tag. Gewissermaßen ein Vorteil für alle Seiten, befindet Heckmann: Er könne sich den Zeitpunkt selbst aussuchen und werde nicht während der Arbeit gestört.

LIMBO sei „kein Allheilmittel“, sagt der Dozent, jedoch könnten so Sekretariate entlastet und den einzelnen „in der Masse eine Heimat“ gegeben werden: „Der verzweifelte Übungsteilnehmer, der Sonntag Nacht vor der Prüfung vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht und alleine gelassen nun den Lehrstuhlchatroom betritt, trifft vielleicht auf Gleichgesinnte und dann und wann auch auf den Prof, der sicher aufmunternde Worte parat hat.“